…oder?
„Egoisten kann ich überhaupt nicht leiden! Die denken grundsätzlich nur an sich und nehmen keinerlei Rücksicht auf andere. Die Sehen immer nur den eigenen Vorteil und nehmen sich einfach alles, was und wie es ihnen gefällt. Egoisten sind schreckliche Menschen. So schrecklich, dass sie keine Freunde haben und niemand sie mag, weil sie nun mal so egoistisch sind.“
Jaaaa… das mag ja auf viele Menschen zutreffen. Menschen denen wir ab und zu begegnen und Menschen die wir kennen. Die finden wir doof, können sie nicht leiden und nicht verstehen und wollen auf gar keinen Fall so sein wie sie.
Meine Freundin Sam ist ein wahnsinnig egoistischer Mensch!
Mir wurde von klein auf eingetrichtert, nicht nur an mich zu denken. Mehr als einmal habe ich von den Erwachsenen, den Eltern und Großeltern (und wer sonst noch meinte, mich erziehen zu müssen) den Satz „Jetzt sei mal nicht so egoistisch“ gehört, wenn ich mein Spielzeug, Eis oder Was-auch-immer nicht teilen wollte.
Ich habe diesen Satz in meiner Kindheit gefürchtet. Denn Egoisten sind Menschen, die keiner mag und die keine Freunde haben. Und ich wollte ja gemocht werden! Und ich wollte Freunde haben!
Also habe ich alles dafür getan, um diesen Satz nicht zu hören. Um bloß nicht egoistisch zu sein.
Wenn damals in der Grundschulzeit eine Freundin bei mir übernachtet hat, durfte sie in meinem Hochbett schlafen und ich hab die doofe Schlafcouch gewählt. Als Teenager hab ich ihr mein schönes neues Mountainbike gegeben und hab Mamas klappriges Damenrad genommen. Bis heute suche ich mir das kleinste Eis aus und das angematschte Stück Kuchen oder verzichte ganz zu Gunsten anderer.
Denn Egoisten sind doof und keiner kann sie leiden und sie haben keine Freunde.
Und ich will ja schließlich gemocht werden und Freunde haben. Da ist ja so ein bisschen Verzichten und anderen den Vorzug lassen ein fairer Preis.
Sam ist übrigens meine Freundin und sehr viele Menschen können Sie verdammt gut leiden.
Habe ich erwähnt, dass sie ganz schön egoistisch ist?
Aber wie kann es denn sein, dass Sam meine Freundin ist? Wo ich doch Egoisten überhaupt nicht mag! Und Egoisten grundsätzlich doof sind und keine Freunde haben! Und nur an sich denken!
Weil Sam genau richtig egoistisch ist! Sie denkt nämlich an sich! Und zwar dann, wenn sie es braucht! Und um diese Fähigkeit beneide ich sie sehr.
Sam ist mein Vorbild für „gesunden Egoismus“, wie das heutzutage heißt. Und den muss ich erst mühevoll lernen. Denn wenn ich an mich denke, hab ich ja keine Freunde und werde auch nicht gemocht! So wurde es mir doch beigebracht.
Und schwups muss ich wohl mal etwas, das mir als Kind eingetrichtert wurde, kräftig in Frage stellen. Die Rechnung geht nämlich nicht auf…
Ist mein Verständnis von Egoismus etwa falsch?
Im Duden gibt es zwei Worterklärungen für Egoismus. Die klassische Erklärung beschreibt den rücksichtslosen Egoisten, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Also den MoF ( = Mensch ohne Freunde), den keiner mag. Die zweite Erklärung allerdings, die philosophische, enthält das Wort Selbstliebe.
Mit gesundem Egoismus kann also nur die zweite Definition gemeint sein. Denn keine Freunde haben und nicht gemocht werden klingt doch eher ungesund.
Und Selbstliebe in Verbindung mit Egoismus bedeutet wohl vor allem, auf sich selbst und seine Bedürfnisse zu hören. Es nicht immer allen anderen recht machen zu wollen, sondern auch mal sich selbst.
Oder halt auch einfach mal an sich selbst zu denken!
Liebe kommt von lieben und ich fange bei mir an!
Falco – Egoist
Genau wie Sam: sie kümmert sich um sich selbst. Sie hatte in letzter Zeit sehr viel um die Ohren und hat einiges mitgemacht. Und jetzt fährt sie in den Urlaub, den sie schon seit längerem gebucht hat. Einfach so! Obwohl jemand, der ihr sehr wichtig ist sie als Egoistin bezeichnet und sogar versucht sie zum daheim bleiben zu bewegen.
Ich bewundere Sam dafür. Und habe sie schon oft gefragt, wie sie das denn anstellt, das Gesund-egoistisch-sein. Sie sagt, das Wichtigste wäre die Fähigkeit „Nein“ sagen zu können. „Nein“ zu anderen und nicht zu sich selbst. Und zwar dann, wenn man selbst etwas dringend braucht.
So wie sie jetzt gerade Ruhe, Entspannung, Spaß, Schlaf und einfach mal Zeit für sich selbst braucht.
Ich versuche das jetzt schon seit Ewigkeiten und weiß nicht, ob ich das jemals so richtig schaffen werde.
Ich bringe mich irgendwie immer wieder in Situationen, in denen ich eigentlich gar nicht sein will. Einfach nur deshalb, weil ich nicht „Nein“ sagen kann. Dann steh ich mit Bauchweh in der Küche und koche für die Freunde, die wir eingeladen haben, sitze im Kino in einem Film, den ich garnicht sehen will und treffe mich sogar mit Menschen, die ich eigentlich gar nicht mag. Und jedes Mal frage ich mich, wie es denn schon wieder passieren konnte, dass das kurze „Nein“ einfach nicht über meine Lippen kam.
Kennst Du das? Bringst Du Dich auch immer in solche Situationen?
Ich freue mich über Deine Erfahrungen und Anregungen unten in den Kommentaren.
Sam ist übrigens auch die Art Freundin, bei der man nachts weinend vor der Tür stehen kann, die einem das letzte Stück Sushi überlässt, die mit Kindern Plätzchen backt und sich regelmäßig meldet, wenn es einem nicht gut geht! Doofe Egoistin!
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